Mehr zur Idee

Die individuelle Ebene

Natürlich sind Lebenswege unterschiedlich, aber die Struktur unserer Gesellschaft hat die meisten von uns mehr oder weniger zu effizienten, leistungsorientierten Menschen gemacht. Schon früh in der Kindheit wird uns beigebracht, die neugierige, intuitive, spielerische Natur in uns zu unterdrücken, zugunsten des Erlernens rationaler Denkmuster. Damit entwickeln wir unsere Identität nach rationalen Bewertungsmechanismen und fangen an zu glauben, dass wir uns nur oder hauptsächlich auf äußere, messbare Informationen verlassen können. Diese sind aber zum einen meist aus fremden, alten Denkmustern entstanden und zum anderen in einer solchen Anzahl vorhanden, dass sie kaum Orientierung bieten können. Hinzu kommt, dass wir uns selbst oftmals so stark mit unseren äußeren Erfolgen, dem akademischen Titel, den geleisteten Arbeitsstunden oder der Follower-Anzahl identifizieren, dass wir uns abhängig machen von extrem fragilen und vergänglichen Dingen. Wir finden uns wieder in einem immer währenden Kreislauf von Hinarbeiten auf ein Resultat, dem Erreichen des Resultats und dem Beginn der Arbeit für das nächste Resultat.

„Jedes Kind ist Künstler. Die Schwierigkeit liegt darin, als Erwachsener einer zu bleiben.“

Pablo Picasso

Das oben geschilderte Resultate-Denken ist bei vielen so stark ausgeprägt, dass ihnen kaum noch möglich ist, etwas zu tun, ohne ein konkretes Ziel erreichen zu wollen. Wir arbeiten auf den kurzen Erfolgsmoment des Ziel-Erreichens hin, ohne dabei zu bemerken, dass der Prozess des Daraufhin-Arbeitens eigentlich der wichtige Teil des Projektes ist, denn dieser bildet einen ganzen Zeitraum in unserem Leben (den wir oftmals nicht genießen, sondern schnell hinter uns bringen wollen, um das Ziel zu erreichen). In seiner deutlichsten Form zeigt sich das Resultate-Denken in den steigenden Burn-out Zahlen. Je öfter und dauerhafter Menschen mit ihrer Aufmerksamkeit beim Resultat, also im Kopf in der Zukunft sind, umso stärker werden Ängste. Gedanken-Kreisläufe über Probleme, die möglicherweise in Zukunft entstehen, sind die unangenehmsten, denn da sie noch nicht existieren, können auch keine Lösungsschritte getan werden.

Bild: François Schwamborn Mixed Media Artist

Die gesellschaftliche Ebene

Viele Wissenschaftler sehen den Zustand des Planeten vor allem als Folge des Verlustes der Verbindung zu sich selbst, zur eigenen Menschlichkeit, zur eigenen „inneren Stimme“. Wir sind umgeben von Unmengen von Daten. Weisheit wurde ersetzt durch Wissen, Wissen wurde ersetzt durch Information. Information wurde ersetzt durch Daten. So sind rationale Daten die Grundlage für sämtliche Gesellschaftsdimensionen geworden, auch eben jenen, bei denen es keinen Sinn macht, sie in Zahlen ausdrücken zu wollen. Wir reduzieren die Realität auf das, was messbar ist, obwohl wir alle wissen, dass dies nur einen kleinen Ausschnitt und nur eine von vielen Arten der Wahrnehmung des Lebens ausmacht. Vom Wirtschaftssystem über die Bürokratie bis hin zur Wissenschaft, von der Pädagogik bis hin zur Suche nach Lösungen aktueller globaler und sozialer Krisen stecken wir fest im rationalen Denken.

Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“

Albert Einstein

Was ist mit dem Teil des Lebens, der nicht über quantitative Datenerhebungen entsteht, sondern über das Wahrnehmen von sich selbst und anderen Lebewesen, dem Erfahren der eigenen Tiefe und Verbundenheit, dem multisensuellen Wahrnehmen von Natur und dem sich Einlassen auf den Moment. Wie viel Wert geben wir diesem Teil des Lebens? Werten wir ihn ab, als naiv, zu verträumt oder irrational?
Die Fokussierung auf das rationale Denken, bestehend aus Analyse, Kurzfristigkeit und Quantifizierung hat die Kreativität in unseren Unternehmen ausgelöscht, das erklärt der Harvard Professor Bill Georg (Harvard Business School). Wir haben unsere Realität in viele, kleine Einzelteile zerteilt, um sie besser verstehen zu können. Doch was nutzt all das detailreiche Expertenwissen, wenn wir es getrennt voneinander stehen lassen? Um unser vielfältiges Wissen, all die Daten zu nutzen, müssen wir sie wieder zusammensetzen. Denn die Realität besteht nicht aus separierten Einzel-Fachgebieten, sondern aus den Zusammenhängen zwischen ihnen.

Bild: François Schwamborn Mixed Media Artist

Dr. Rudi Fischer (philosophische Psychologie) betont in seinem Sammelband „Wie kommt Neues in die Welt?“ (2013), dass Kreativität nicht nur auf sozialer Mikroebene wichtig ist, sondern auch und vor allem auf der Makroebene, wo mit Klimakrise, kriegerischen Auseinandersetzungen, sozialer Ausbeutung etc. vor allem kreative, neue Lösungswege nötig sind. Obwohl wir rational-technologisch unglaubliche Entwicklungsschritte geschafft haben, scheinen wir uns global gesehen auf sozialer und ökologischer Ebene nur sehr langsam weiterzuentwickeln. Fischer unterscheidet zwischen dem „Relativ Neuen“ und dem „Radikal Neuen“. Das Relativ Neue entsteht seiner Auffassung nach durch erlernte Denkstrukturen und deren immer neue Anpassung auf neue Probleme. Neue Lösungswege werden so „nur“ innerhalb der bereits vorhandenen Denkstrukturen gefunden, sind damit also nicht wirklich neu. Das Radikal Neue, so schreibt er, kann nur durch das Loslassen dieser Denkstrukturen entstehen, was wiederum nur möglich ist, wenn wir uns auf unsere volle Wahrnehmung, mit allen Sinnen einlassen; also in Fühlung gehen mit uns selbst und unserer Umwelt. Und spielerisch, intuitiv nach Lösungen Ausschau halten, die eben nicht aus reinen Denkprozessen entstehen.

„Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.“

Albert Einstein

Kunst und Intuition

Intuition ist kein naives Träumen, sondern das unbewusste Wissen in uns, das genauso wichtig ist, wie das bewusste, rationale Denken. Doch sich auf etwas Unkontrollierbares, Unvorhersehbares, Nicht-messbares und mit Worten nicht Definierbares einzulassen, macht uns – die ja gelernt haben, dem Rationalen zu vertrauen – große Angst.

Um Intuition wahrzunehmen, müssen wir loslassen, uns dem völlig neuen Wahrnehmen eines Momentes ausliefern, was sich natürlich (bewusst oder unbewusst) beängstigend anfühlt. Individuell wie auch auf kollektiver Ebene fürchten wir das Loslassen, denn wir glauben, mit Kontrolle Negatives vermeiden zu können. So drehen wir uns lieber auf „alte, bekannte“ rationale Art im Kreis, statt uns dem Neuen, Unbekannten auszusetzen. Intuition kann man nicht machen, man kann ihr nur Platz einräumen in der eigenen Wahrnehmung. Die gute Nachricht ist, dass jeder sie bereits in sich trägt.

KünstlerInnen spielen im Prozess der intuitiven, kreativen Arbeit oft mit dem jetzigen Moment, lassen sich selbst immer wieder neu auf die eigenen Ideen ein. Sie lassen zu, dass sich das Ziel (z.B. das Kunstwerk, welches gerade entsteht) ständig verändert, sie gehen mit ihren Gedanken und ihrer Intuition und entdecken innerhalb dieses Prozesses selbst erst, wohin er führt. Eine Fähigkeit, die vielen Erwachsenen abhandengekommen ist. Dabei sind das spielerische Erproben, das Loslassen strikter Rahmenbedingungen und Zielvorgaben und das multisensuelle Erfahren von Momenten essenziell für die Wahrnehmung des Lebens in seiner Gänze. Und damit auch für ein zufriedenes Leben.

 

Bild: François Schwamborn Mixed Media Artist
„Und was machst du mit fünfhundert Millionen Sternen?“
„Fünfhunderteinemillionsechshundertzweiundzwanzigtausendsiebenhunderteinunddreissig. Ich bin ein ernsthafter Mann und nehme es genau.“
„Und was machst du damit?“, fragte der kleine Prinz, der nie eine Frage unbeantwortet ließ.
„Nichts. Ich besitze sie. Ich verwalte sie. Ich zähle sie und zähle sie wieder“, sagte der Geschäftsmann,„das ist nicht leicht. Aber ich bin ein ernsthafter Mann“.
„Wenn ich einen Seidenschal habe, kann ich ihn um meinen Hals legen und mitnehmen. Wenn ich eine Blume habe, kann ich sie pflücken und mitnehmen. Aber du kannst die Sterne nicht pflücken“.
„Nein, aber ich kann sie in eine Bank legen“.
„Was soll das heißen?“
„Das heißt, dass ich die Zahl meiner Sterne auf ein kleines Papier schreibe. Und dann sperre ich dieses Papier in eine Schublade“.
Das ist amüsant, dachte der kleine Prinz. Es ist fast dichterisch. Aber es ist nicht ganz ernst zu nehmen. Der kleine Prinz dachte über die ernsthaften Dinge völlig anders als die großen Leute.
„Ich besitze eine Blume, die ich jeden Tag begieße. Ich besitze drei Vulkane, die ich jede Woche kehre. Denn ich kehre auch den erloschenen. Man kann nie wissen. Es ist gut für meine Vulkane und gut für meine Blume, dass ich sie besitze. Aber du bist für die Sterne zu nichts nütze...“
Der Geschäftsmann öffnete den Mund, aber er wusste nichts mehr zu sagen.
Die großen Leute sind entschieden sehr, sehr wunderlich sagte sich der kleine Prinz auf seiner Reise.
Antoine de Saint-Exupéry