Sidonie Bilger setzt sich nicht nur mit ihrem minimalistischen, ökologisch extrem bewusstem Lebensstil für den Wandel der Gesellschaft ein, sondern auch mit ihrer Kunst. Denn sie malt nicht nur dystopische, schockierende und fantastische Szenen, sondern breitet diese auch gerne auf die gesamte Wand oder riesige Leinwände aus – symbolisch für die zerstörerische Ausbreitung des Menschen. Sie prangert die systematische Zerstörung von Natur durch das kolonialistische, ausbeuterische, patriarchale System an, indem sie auf malerisch-ästhetische – manchmal zarte, manchmal rohe, angsteinflößende – Art auf die Absurdität des menschlichen Verhaltens, seine eigene Lebensgrundlage zu zerstören, hinweist. Im Interview erzählt sie wie sie das macht, von ihrem Weg zur Kunst, schweren Niederlagen und wie sie gelernt hat sich selbst zu vertrauen.
Was zeigst du aktuell in der Galerie Puzic?
Ich stelle in der Galerie Puzic eine Serie von Zeichnungen und Pastell-Malereien aus und werde im Laufe der Ausstellung eine großformatige Wandzeichnung in Form einer Live-Performance anfertigen. Meine Arbeit dreht sich im Wesentlichen um die Vorstellung von Landschaften und den Platz, den wir Menschen darin einnehmen. Ich stelle mir gerne vor, dass die Natur durch meine Arbeit in gewisser Weise ihre Rechte zurückfordert, indem sie in Räume eindringt und Räume dekonstruiert. Wann immer möglich, wie auf der Galeriewand, breiten sich meine Zeichnungen durch einen starken körperlichen Einsatz aus, bis sie in alle Dimensionen vordringen zu scheinen, was mich völlig einnimmt. Diese Ausbreitung symbolisiert die Zerstörung der Natur und meine eigene Betroffenheit. Zum Beispiel sind zwei Pastell-Malereien in der Ausstellung, mit dem Titel „décor habité“, ein direkter Verweis auf das Thema der „decolonial ecology“, die auf der These beruht, dass die ökologische Krise auch eine „Krise der Menschenrechte, der Gerechtigkeit und des politischen Willens“ ist. Eine Krise, die durch kolonialistische, rassistische und patriarchale Unterdrückungssysteme verursacht und angeheizt wird. Meine jüngste Forschung konzentriert sich auf das Thema der Katastrophen und dem, des Sublimierens der „Monster des Denkens“ und hinterfragt die patriarchalen Herrschaftsverhältnisse die der Mensch gegenüber seiner Umwelt, aber auch zwischen den Menschen selbst, unterhält. („Monster des Denkens“ ist ein Bild, das ich für all unser Fehlverhalten, kognitiven Verzerrungen, falsche Verurteilungen oder Wahnsinn nutze.)
Da du sehr unterschiedliche Themen bearbeitest – angefangen mit Landschaften und Selbstporträts über Bilder wie „Le Bestiaire“ (Die Bestie) bis hin zu Pferden und fantastischen Wäldern mit dystopischer Atmosphäre – stellt sich die Frage, ob du dich mit deinen Bildern nicht nur als Künstlerin, sondern auch als Mensch weiterentwickelst? Was inspiriert dich?
Ich habe im Louvre viel über Malerei gelernt, als ich an der Beaux-Arts in Paris studierte. Nicht durch Reproduktionen, sondern indem ich lernte, wie man wirklich hinschaut. Ich bin tatsächlich ins Museum gegangen, weil ich den Horizont sehen wollte, was in einer Groß-Stadt oft unmöglich ist. Sehen zu lernen ist eine Sache, aber am schwierigsten war es für mich, mir selbst genug zu vertrauen, es zu wagen, die Welt mit meinen eigenen Projektionen zu versehen.
Diese Emanzipation hat mich nach dem Studium mehrere Jahre gekostet, und es war wichtig, dass ich mir diese Zeit genommen habe. Ich brauchte eine solche Zeit, um mich selbst und meine Kunst zu entwickeln. Das zeigt sich auch in meiner Arbeit: von einem fast ausschließlich gedanklichen Einsatz habe ich mich langsam zu einer mehr erzählerischen Form hinbewegt und heute vertrete ich einen Diskurs, der geradezu aktivistisch und politisch ist. Was ich in meinen Bildern sehe, offenbart auf intime Weise, was ich als Frau, als Person erlebe.
Meine Arbeit ist stark inspiriert durch das internationale Zeitgeschehen, Literatur, Klima- und Biodiversitätsfragen sowie von dem Umfeld der Arbeiterklasse und des ländlichen Lebens, aus dem ich komme und in dem ich mich häufig aufhalte. Meine Arbeit bezieht sich oft auch auf Meisterwerke der Kunstgeschichte. Ich lasse diese Elemente einfließen, indem ich meine eigene innere Mythologie in meine Bilder einbaue.
In meinen Arbeiten geht es auch um die Themen Zerstörung und das mögliche Ende der Menschheit. Ich verwende dieses Themen-Material, um Verbindungen zwischen ihnen zu schaffen und versuche durch das Imaginäre ein Feld kollektiver Möglichkeiten zu eröffnen. Ich mag die Vorstellung, neue imaginäre Welten zu schaffen, die vom Prinzip der Dystopie inspiriert sind, um die Absurdität unserer aktuellen Situation zu hinterfragen und gleichzeitig unser universelles und persönliches Bedürfnis zu träumen, einfließen zu lassen.
Manchmal bekomme ich auch den Auftrag für ein Thema, wie bei dem von dir erwähnten Pferdeprojekt. Nach einer mehrmonatigen Vertiefungsphase habe mich dem Thema mit meinen eigenen Gefühlen genähert, ausgehend von den Erzählungen und Erfahrungen anderer, die mich zutiefst berührt haben. Meine Bilder waren keineswegs zimperlich, eher zügellos und manchmal schockierend. Das Ziel meiner Arbeit ist es jedoch nicht zu schockieren um des Schockierens willen, sondern um dem Betrachter Denkanstöße zu geben. Ich möchte die Rezipienten meiner Kunst dazu anregen, sich selbst und ihre Rolle in ihrer Umgebung zu hinterfragen. Deshalb lege ich großen Wert darauf, meine Bilder attraktiv-anziehend zu halten, trotz der manchmal harschen Botschaft, die ihnen zugrunde liegt.
Die Art und Weise, wie ich mit meinen Motiven umgehe, hat in der Tat etwas extrem tiefgehendes. Aber es gibt aber auch etwas Körperliches in der Art, wie ich meine Arbeit ausführe. Ich arbeite instinktiv und intuitiv. Meine Linie hat manchmal eine gedämpfte, manchmal eine explosive Energie, die sich in Gesten ausdrückt und eine Kraft, die das Bild prägt. Ich zeichne unermüdlich und setze dabei meinen ganzen Körper ein, denn ich muss die Bewegung, die ich darstelle, in meinem eigenen Fleisch und Blut spüren. All das findet im Atelier statt, in dieser Umgebung, die mit dem Pulver von Kohle und Kreide gefüllt ist, einem Staub, der auch mich bedeckt, der den Raum ausfüllt und sich auf dem Boden sammelt. Ich habe eine besondere Beziehung zur Farbe, was eine sehr befriedigende Erfahrung für mich ist. Ich erinnere mich noch gut, wie ich gelernt habe, dass Farben nicht wirklich existieren. Das hat mich sehr getroffen. Und ich erinnere mich, dass ich lange Zeit darüber geweint habe.
Wie hast du angefangen zu malen und welche Bedeutung hat die Malerei für dich?
Ich habe mit der Malerei begonnen, als ich noch sehr jung war, und bin in die Fußstapfen meines Vaters getreten, der zu Hause Postkartenreproduktionen malte. Dann habe ich mir Bücher gekauft, um die verschiedenen Zeichentechniken zu lernen. Ich glaube, ich habe wie jedes andere Kind angefangen, aber im Gegensatz zu den meisten Kindern habe ich nie aufgehört und bin beharrlich geblieben. Meine Beziehung zu Bildern stammt aus der Populärkultur. Ich war von Bildern fasziniert und hatte viel Fantasie, als ich jung war. Ich liebte es, Dinge zu erschaffen und zu gestalten. Vor allem liebte ich Farben. Diese kreative Freiheit wurde eingeschränkt, als ich in die Sekundarschule kam.
War es schon immer Ihr Traum, als Künstlerin zu arbeiten? Und wie gehst du mit der finanziellen Unsicherheit dieses Berufs um?
Als ich jünger war, wusste ich nicht, dass es so etwas wie einen Künstler gibt; ich wollte eine Zeichnerin werden. Während meines Studiums habe ich versucht, meine Fähigkeiten in verschiedenen Berufen anzuwenden – Design, Comics, Illustration -, aber tief in mir wusste ich, dass das nicht das war, was ich machen wollte. So seltsam diese Aussage auch sein mag, das Zeichnen und Malen hat mich mehr als einmal aus tief verzweifelten Momenten und schwierigen Situationen herausgeholt. (Bild: Incendie bleu)
Ich habe dafür gekämpft, diesen Weg zu gehen, und ich bereue es nicht im Geringsten. In den ersten Jahren habe ich nebenbei gearbeitet, um mein Studium zu finanzieren, und dann habe ich erkannt, dass die Malerei totale Hingabe erfordert, um sich zu entwickeln. Alles oder Nichts! Heute ist mein Lebensstil völlig minimalistisch. Ich lebe in einem Tiny House fast kostenlos, bin praktisch Selbstversorgerin und lebe wie eine Nomadin von Ort zu Ort. Das passt zu meinen persönlichen Überzeugungen. Ich beziehe Stellung gegen die exzessive Lebensart unserer Gesellschaft: ich will nicht konsumieren, ich will erschaffen.
Wie gehst du mit Fehlern oder Misserfolgen um, während des Malprozesses, aber auch im Leben (z. B. wenn Bewerbungen abgelehnt werden)?
Der härteste Rückschlag war die Weigerung der Jury, mir ein Diplom der Pariser Kunsthochschule auszustellen. In Paris setzt sich die Jury jedes Jahr aus Mitgliedern außerhalb der Schule zusammen, und ich hatte leider einfach Pech. Diese Entscheidung war sehr hart für mich. Nach meinem Abschluss im folgenden Jahr verließ ich die Hauptstadt, ich mochte die Isolation und die Einsamkeit nicht, die man dort als Künstler manchmal erlebt. Man sagte mir, ich müsse mich darauf einstellen hunderte Bewerbungen einzureichen, um für eine Stelle in Frage zu kommen. Im Jahr nach dem COVID bewarb ich mich mehr als doppelt so oft, ohne eine positive Antwort zu erhalten. Ich befand mich in einer abwärts Spirale der Ablehnung und es war sehr hart für mich da wieder herauszukommen. Aber ich blieb hartnäckig und lernte dadurch vor allem, mich und meine Arbeit besser zu präsentieren und besser auf Stellenausschreibungen zu reagieren. Vor allem musste ich musste ich lernen, mir selbst Anerkennung und Geltung zu verschaffen und das brauchte Zeit. Heute erfahre ich eine viel mehr Anerkennung meiner Arbeit durch verschiedene Institutionen, was den gesamten kreativen Prozess beeinflusst und erleichtert. Ich weiß sehr wohl, dass bei der Auswahl der Unterlagen für eine Ausschreibung viele Faktoren eine Rolle spielen Bewerbungen spielen, die ich nicht gut meistere. Die heftigste Auswirkung bei der Auswahl ist natürlich die Zermürbung.
Wie sieht dein Arbeitsprozess aus? Und wie findest du findest einen Weg zum Inneren besonders in dieser Welt voller Termine, Medienüberlastung und Großstadtlärm?
Ich mag es, wenn es um mich herum viel Trubel gibt. Ich komme voll zur Entfaltung durch all die Eingriffe von außen, die Begegnungen und den Austausch. Ich liebe zum Beispiel gemeinsame Workshops, ich liebe Residencys, wo ich neue Leute kennenlerne, und eine Art Wetteifern geschaffen wird. Ich denke viel nach, bevor ich zeichne. Ich modelliere manchmal den Raum, in dem das Werk entstehen soll, im Kopf und zeichne im Geiste die groben Umrisse meiner Zeichnungen. Ich sitze oder liege einfach ganz still. Das kann einige Zeit dauern, und dann zeichne ich direkt auf das jeweilige Papierformat. Zuerst lege ich die Hauptlinien fest und zeichne die ersten Formen, dann korrigiere ich, zeichne neu und korrigiere wieder. Ich befinde mich in einem Zustand der extremen Konzentration, bei der mir die Zeit völlig entgleitet.
Als ich jünger war, habe ich geturnt, und ich könnte eine Parallele ziehen zwischen diesem Zustand und dem, in dem ich mich befand, als ich Figuren turnte. Für einen Moment lang gibt es weder Zeit noch Raum…dafür aber eine echte körperliche Erschöpfung, wenn man die Füße wieder auf den Boden setzt.
Wenn ich aus der Beobachtung heraus male, ein Porträt oder eine Landschaft, bin ich auf die gleiche Weise konzentriert. Es geht darum, sehr persönliche, nicht greifbare Wahrnehmungen in zwei Dimensionen in Form von Linien, Formen und/oder Farben zu übertragen. Im Allgemeinen arbeite ich ziemlich schnell, wenn ich zeichne. Ich bin sehr effizient. „La Chasse à coure“, zum Beispiel, eine Kohle- und Pastellzeichnung von 2 Metern Höhe und 4 Meter 50 Länge, hat zwei Wochen gedauert. Es kann Tage dauern, bis ich eine Zeichnung fertig habe, oder ein paar Minuten für eine andere.
(Bild: nature morte et invasive)
Welche Rolle spielt die Intuition für deine künstlerische Arbeit, aber auch für dein Leben?
Intuition ist wichtig, denn es geht um Gefühle, Erfahrungen, bestimmte Formen von Genauigkeit und Wahrheit. Vor allem auch, weil ich versuche mit meiner Arbeit zum Betrachter zu sprechen. Um das zu erreichen, muss ich sehr aufmerksam, sozial intelligent sein und vor allem mir selbst vertrauen. Ich denke, Intuition ist ein bisschen von all dem.
Was sind für dich die wichtigsten Voraussetzungen, um kreativ zu sein? Wie gehst du mit dem Widerspruch zwischen dem Brauchen von Zeit, um kreativ zu sein, und dem man durch neoliberale, gesellschaftliche Strukturen ständig unter Zeitdruck steht?
Um kreativ zu sein, muss ich ständig in Kontakt mit Ideen, Menschen und Begegnungen sein. Manchmal muss ich Malereien sehen, manchmal im Wald auf weichem Boden spazieren gehen. Ein Buch lesen, einer Diskussion zuhören. Ich muss mit der Welt verbunden sein und brauche Zeit, um all diese Informationen zu verdauen. Ich habe das Glück, dass das bei mir relativ schnell geht, aber manchmal übersteigt es meinen Verstand und dann analysiere ich meine Bilder erst im Nachhinein. Aber ich glaube, dass meine Ideen im Allgemeinen aus einem tiefen Gefühl und Wissen über die Ungerechtigkeiten der Welt und revolutionären Gedanken kommen.
Hast du irgendwelche Empfehlungen für Menschen, die das Gefühl für sich selbst verloren haben? Kunst kann in der Tat therapeutisch und heilsam sein, aber wir dürfen nicht vergessen, dass Künstler auch in Depressionen oder Burn-outs verfallen können und dies auch oft tun. Kunst löst keine Probleme; ich denke, es ist eher eine Frage die Frage, wie und warum wir sie machen. Ich denke, Sensibilität ist in unserer Gesellschaft ein wichtiges und problematisches. Um die Frage zu beantworten, würde ich sagen, dass es mir persönlich geholfen hat, über meine Arbeit zu schreiben. Das ist eine Übung, die Zeit braucht, aber sie erlaubt es einem, eines der wichtigsten Dinge zu tun, nämlich einen Schritt zurückzutreten, Abstand zu gewinnen. Beim Zeichnen zum Beispiel ist die Perspektive verzerrt, wenn man die Nase direkt vor seinem Werk hat. Und das kann man sich nur bewusst machen, wenn man regelmäßig einen Schritt zurücktritt. Es ist nichts falsch daran, zu korrigieren; Ich glaube sogar, dass dies die Essenz des Zeichnens ist.