Kopfurlaub

Es ist laut und voller Menschen, wir müssen schnell noch dieses oder jenes besorgen, drängeln uns gestresst durch die überfüllte Innenstadt und hetzen weiter zum nächsten Termin. Plötzich tut sich ein verträumter Wolkenhimmel auf. Wir bleiben stehen und bemerken die langsame, fließende, scheinbar willkürliche Bewegung der sich ineinander einfügenden, aufstülpenden und wieder vergehenden Wolken. Eine Bewegung, die zwar ohne Ordnung, aber mit einem sich dem rationalen Denken entziehenden Sinn abläuft, uns mit unserem unbewussten Gefühl, lebendig und ein Teil des Lebens zu sein, verbindet. Eine Erinnerung daran, dass die scheinbare Zufälligkeit des Lebensflusses, vielleicht nur einer Sinn-Ordnung folgt, die für uns nicht greifbar ist.

Auch, wenn unsere Augen beim Blick in den Himmel erst mal an den Objekten, also in diesem Fall Wolkenformationen hängen bleiben, ist es die Weite der Leere um diese Objekte herum, die uns so frei und offen fühlen lassen. Wir spüren nochmal, dass unser ganzes Denken, Planen und Tun den ganzen Tag nur einen kleinen Teil von uns selber ausmacht und wir doch viel mehr das sind, was man den Raum drumherum nennen könnte. Raum, der sich nach Freiheit, Weite und Offenheit, aber auch nach Leere anfühlt und deshalb erst mal Angst macht. Das zu erkennen gleicht einem Befreiungsschlag, denn wir können bemerken, dass die kleinen, oftmals unangenehmen Drücke der „ich sollte“-Gedanken nur einen winzigen Teil in diesem riesigen Wahrnehmungsraum ausmachen, an den uns die unvorstellbare Unendlichkeit eines Himmels erinnert.

In einem Schaufenster in der Innenstadt, einem exemplarischen Ort des Konsums, der uns normalerweise von all der inneren Fülle ablenkt, uns klein und abhängig von Dingen fühlen lässt, hat der Licht- und Medien-Künstler François Schwamborn ein kleines Tor in die eigene Innerlichkeit erschaffen. Im Interview erzählt er unter anderem, wie die Arbeit, eine Projektion von lebendig wirkenden, aber vor allem langsamen Wolkenformationen, entstanden ist.

Was steht inhaltlich hinter deiner Arbeit Mut zur Langsamkeit? Kannst du nochmal kurz beschreiben?
Mut zur Langsamkeit ist ein Eingriff im öffentlichen Raum. Die Arbeit lädt dazu ein, sich der Langsamkeit zu fügen und sich aus seinem Alltag zu reißen.

Mut zur Langsamkeit ist natürlich ein Gegensatz zu der Effizienz und Quantität statt Qualität Mentalität der heutigen Zeit. Ist deine Arbeit in diesem Sinne denn auch eine Kritik an der neoliberalen Gesellschaftsstruktur?
Die Arbeit versteht sich als Gegensatz zur neoliberalen Gesellschaftsstruktur, aber ist in meinen Augen kein Gegensatz zu Effizienz. Ich denke, dass es im Gegenteil viele Vorteile haben kann, langsam an Prozesse heranzugehen. Unsere Gesellschaft ist sich aber dessen leider nicht bewusst. Man geht davon aus, dass, wenn etwas schnell erledigt wird, es dann auch gut gemacht ist. Dabei werden oft nur kurzfristige Lösungen für längerfristige Probleme gesucht. Natürlich denke ich dabei z. B. an Probleme wie den Klimawandel, die oft durch Aktionismus und Greenwashing letztendlich nur verdrängt werden.

Das Schaufenster als Ort der Schnelllebigkeit und des Konsums ist ja eigentlich ein Symbol für Künstlichkeit und Oberflächlichkeit. Willst du gerade durch den Standort in der Innenstadt und das Spielen mit verträumten Wolkenformationen, PassantInnen aus ihrem routinierten Konsum und der städtischen Unnatürlichkeit herausreißen, nach dem Motto: Stop and smell the roses?!
Ja, das ist ein bisschen der Gedanke hinter der Arbeit. Ich sehe das Schaufenster als eine Art Schrein des Konsums. Es mit Kunst statt mit Produkten zu füllen, wertet es in meinen Augen auf und es gibt wieder etwas (in meinen Augen zumindest) zu schauen.

Wie ist die Idee entstanden? War zuerst die Animation oder die inhaltliche Idee da?
Die Idee war zuerst da. Die Arbeit in dem Fenster ist extra dafür gemacht worden, ist aber Teil einer Reihe von Videoarbeiten, in denen ich mich mit der Langsamkeit beschäftigt habe.

Wie hast du die Arbeit kreiert? Welche technischen Mittel verwendest du und wie läuft so ein Arbeitsprozess bei dir ab?
Die Arbeit entsteht in zwei Schritten. Als erstes habe ich Videoaufnahmen vom Himmel gemacht. In einem zweiten Schritt habe ich diese Aufnahmen verzerrt und mit einer zusätzlichen Ebene versehen.

Da du ja mit sehr viel Technik arbeitest: inwiefern ist es bei deiner Arbeit wichtig loszulassen, spielerisch zu mit Formen umzugehen? Welche Rolle spielt dabei die Intuition?
Im Kern des Schaffensprozesses spielt die Intuition eine zentrale Rolle. Ich gehe auf eine Experimentelle Art auf meine Arbeit ein und komme dabei im Idealfall in einen Flow. Wenn ich in diesem Zustand bin, vergesse ich die Zeit und gehe komplett in meiner Arbeit auf.

Inwiefern spielt das Thema Zeit bei deiner Kunst eine Rolle? Kreativität entsteht nicht auf Knopfdruck. Würdest du sagen, dass auch du den Inhalt deiner Arbeit – also die Langsamkeit – brauchst, um kreativ zu sein?
Ich denke, dass der kreative Prozess aus vielen verschiedenen Phasen besteht. Ich glaube auch, dass ich rund um die Uhr an meinen Ideen unbewusst oder bewusst arbeite. Der Moment, in dem ich zur Tat schreite, ist nur ein Bruchteil davon. Bis es dazu kommt, braucht es Zeit.

Was kannst du Menschen mitgeben, die vielleicht genau darunter leiden, sich ständig unter Zeitdruck zu fühlen? Denn die steigenden Burn Out Zahlen und wachsenden psychischen Probleme mit Ängsten deuten ja daraufhin, dass der Verlust von Langsamkeit sogar krank macht und auch auf kollektiver Ebene ein gravierendes Problem darstellt.
Ich muss da an einen Meditationslehrer denken, der vor ein paar Jahren im Radio interviewt worden ist. Der meinte, dass jeder Mensch eine Stunde am Tag meditieren sollte. Und diejenigen, die dafür keine Zeit haben, sollten zwei Stunden meditieren. Ich selbst meditiere nicht, aber ich glaube ja, dass es längerfristig ungesund ist zu wenig Zeit für sich selbst zu haben. Darum geht es ja in der Arbeit letztendlich: Ich möchte den Leuten, die keine Zeit haben, einen kurzen Moment Kopfurlaub ermöglichen. Man muss sich nur darauf einlassen. Dass das der Kern des Problems ist, ist mir bewusst.

Wie geht’s bei dir weiter? Welche Projekte hast du in nächster Zeit geplant?
Als Nächstes stelle ich im Saarlandmuseum aus. Dort werde ich mich mit Ordnung und Chaos auseinandersetzen.